Sonntag, 11. März 2012

Aufmerksam eingeschlafen

Einsame Menschen reden viel. Zumindest, wenn sie einmal jemanden finden mit dem sie ausgiebig sprechen können. Solche Gespräche laufen oft einseitig ab.
Nach langer Einsamkeit hat sich viel angestaut, das geteilt werden will. Man fühlt sich regelrecht überrollt von dem Wortschwall des Gesprächspartners. Die zwei Gesprächspartner werden plötzlich zu Redner und Zuhörer; der eine nickt an passenden Stellen, damit ersterer sich bestätigt sieht und fortfährt.

Als Zuhörer fühle ich mich in so einer Situation unwohl. Die besprochenen Themen betreffen mich vielleicht weder noch interessieren sie mich wirklich. Und doch bleibe ich still, ich verharre in höflichem Schweigen.
Schließlich kann ich mir vorstellen, wie sehr die Einsamkeit belastet. Man kocht im eigenen Saft, kann mit niemandem die Erinnerungen teilen. Und die meisten Menschen haben dazu für gewöhnlich auch nicht einmal einen Twitteraccount.

So sitzt man dann da. Zehn Minuten, eine Viertelstunde, eine halbe - die Zeit kriecht dahin, der Blick fällt auf die Uhr und das Gewissen moniert, dass noch einiges zu erledigen ist. Aber man bleibt und hört den Belehrungen, Anekdoten und Reminiszenzen zu. Denn es ist wichtig für jene Redner, auch einmal Aufmerksamkeit zu erhalten. Der Mensch als Herdentier wird allein kaum glücklich, wir suchen Gesellschaft weil wir sie brauchen. gesellschaft bedeutet nicht, in der Bahn jemand neben sich sitzen zu haben. Gesellschaft bedeutet Austausch.
Und wenn ich nun einmal diese Gesellschaft für den Moment bin, dann soll es so sein. Diese Freude will ich demjenigen auch gewähren.
Letztendlich würde ich mir doch auch selbst gleiches von anderen erhoffen, sollte ich in meinem Leben aus irgendeinem Grund unter einer solchen Einsamkeit leiden.

Worte fliegen durch die Luft, formen Schleifen und wiederholen sich. Ich bleibe scheinbar aufmerksam und lasse die Gedanken zu den Spanischvokabeln abschweifen. Ist das verwerflich?
Ein Teil der Aufmerksamkeit ist geheuchelt, ich weiß und verurteile es. Zu ehrlichem Interesse reicht es nicht, harsch einen zumindest biologisch mehr oder weniger nahestehenden Menschen abweisen will ich auch nicht.
Bemerkt derjenige denn meine relative geistige Abwesenheit nicht? Ist es dreist, jetzt mental Verben zu konjugieren?

Mir selbst unhöflich vorkommend höre ich genauer zu. Ich gebe aufmunternde Worte von mir, die einen erneute Wortlawine auslösen. Wahrscheinlich wäre Schweigen besser gewesen.

Ist das Gespräch irgendwann beendet, fühle ich Erleichterung und ein schlechtes Gewissen. Man will mit den Leiden anderer von Natur aus ungern konfrontiert werden; noch weniger, wenn man die Person nur oberflächlich kennt und an den Problemen nichts ändern kann.
Warum höre ich dann den endlosen Wortergüssen höflich schweigend und gelegentlich nickend zu? Verflixte Erziehung.


Apfelkern

6 Kommentare:

  1. Diese Situation kenne ich, sowohl von der Seite der Zuhörerin aus als auch von der Seite der Rednerin. Bin ich die Zuhörerin tue ich dies gerne, die Zeit habe ich oft dazu und ich erhoffe mir davon den Menschen zu helfen. Aufmerksam zuhören fällt zugegeben manchmal schwer und es ist nicht immer interessant aber es gibt schlimmeres.

    Bin ich die Rednerin ertappe ich mich nach einiger Zeit selber in meinem Monolog. Das ist mir dann immer sehr unangenehm, ich schraube zurück, gehe auf meinen Gesprächspartner ein und vergesse dabei vollkommen dass ich auch mal wen brauche dem ich alles erzählen kann. Aber wie gesagt, es gibt schlimmeres.
    ...
    Zumal ich Twitter habe.

    Liebe Grüße,
    Tüdel ~

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  2. JA!
    Ganz genauso kenne ich das auch!! Wahnsinn, ist ja wirklich sehr verblüffend, wie du das schilderst. Ich stehe dann auch im permanenten Kampf mit meinem Gewissen. Aber ich denke mir dann immer, dass man ehrliche, aufrichtige Aufmerksamkeit sowieso nicht erzwingen kann und so höre ich ihnen meist zu bis es gar nicht mehr geht und fühle mich danach zwar schlecht aber es wird besser. :)
    Bitte, schreib weiter so gute Texte, liebe/r Apfelkern! ♥

    Liebste Grüße, Josi

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    1. Ich bedanke mich aufrichtig für das Lob und gebe mir Mühe, auch in Zukunft ähnlich gute Texte zu fabrizieren. Da sieht man mal wieder, dass die aus der Stimmung heraus in zehn Minuten geschriebenen Texte fast immer die authentischsten sind.

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  3. Ja, die Situation kennt wahrscheinlich jeder. Jemand "zwingt" einem das Gespräch auf und in dem Moment will man eigentlich nur weg und den Dialog beenden. Man fragt sich, warum das Gegenüber nicht merkt, dass man nur einsilbig antwortet und dauernd auf die Uhr schaut. Oder merkt er/sie es und ignoriert es einfach?
    Aber spätestens wenn man dann wieder "frei" ist, fragt man sich, was denn so schlimm daran ist, einfach mal eine Weile jemandem zuzuhören. Vielleicht ist da jemand einsam, hat kaum jemanden zum reden und freut sich einfach, sich einmal mitteilen zu können. Vielleicht redet er auch nur so lange und lässt das Gespräch nicht abreißen, damit er für die Zeit nicht alleine ist. Naja.

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  4. Ich habe die Erfahrung häufig mit älteren Menschen gemacht, die keinen mehr zum reden haben. Bei ihnen kann ich nicht einfach weggehen, auch wenn sie mir aufgrund von Demenz immer wieder das gleiche Erzählen. Bei einigen fällt einem erst nachher auf, was die Person einem alles so erzählt hat und das einige wichtige Sachen darunter waren. Manchmal zwinge ich mich auch dazu, aufmerksam zuzuhören, weil ich mir sicher bin, die Stimme ein letztes mal zu hören. Aber meistens bleibt dieses flaue Gefühl, nicht wirklich ehrlich gegenüber der anderen Person gewesen zu sein. Du hast das sehr treffend auf den Punkt gebracht!
    Viele Grüße,
    Pearl.

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  5. ich finde es allgemein ganz schwierig und nur schwer erträglich, wenn es diese aufteilung zwischen redner und zuhörer gibt. egal wie das thema lautet.
    das ist nichts für mich.
    und ich ärgere mich bei solchen gesprächen immer sehr über mich, dass ich sie nicht früher unterbreche.
    warum kann man daraus nicht einen dialog machen???
    ich fühle mich wie ein mülleimer, benutzt.

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