Dienstag, 21. August 2012

Erdrückende Hilflosigkeit

Der auffälligste Patient, den ich während meines Praktikums in einem Klinikum bisher kennen gelernt habe, ist ein älterer Herr mit einer das Hirn betreffenden Erkrankung. Durch diesen beeinflusst, scheint sich seine Persönlichkeit verändert zu haben. Er hat Stimmungsschwankungen zwischen Lachen und Weinen, rennt ziellos umher, spricht unzusammenhängendes Zeug, kann sich nicht selbst versorgen. Manchmal wird er panisch oder aggressiv und im nächsten Moment schon lacht er glucksend.

Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen soll. Seine Reaktionen sind nicht logisch - sie sind unberechenbar. Die meisten Krankenschwestern hören ihm einfach nicht mehr zu, behandeln ihn wie ein kleines Kind, machen alles, was notwendig ist und stellen ihn dann ruhig. Ruhig gestellt wird er mit einer bunten Mischung aus diversen Sedativa und Neuroleptika. Diese haben seinen Allgemeinzustand laut der Schwestern nicht unbedingt verbessert, sondern die Verwirrung noch gesteigert. Er ist ein wenig wie ein Kind. Degeneration.

Mehrfach habe ich ihm bei der Morgenrunde diese angeordneten Medikamente gebracht, von denen ich anzweifle, ob sie ihm alle gut tun. Schmerzmittel und besagte andere haben neben Wirkungen und Nebenwirkungen sicher auch Wechselwirkungen untereinander und so kann das angstauflösende und beruhigende Mittel vielleicht auch einmal den gegenteiligen Effekt erzielen.

Mir macht der Gedanke an den Tod keine Angst - schlimmer ist der Gedanke an das Sterben selbst, denn da kann man nur hoffen, dass es ohne langes Leiden und nicht verfrüht geschieht. Ich hoffe nicht, lange mit einer Krankheit einen hoffnungslosen Kampf führen zu müssen, nur um dann meinem Körper bei der Degeneration zusehen zu können.
Diese Hilflosigkeit, welche ich bei einigen Patienten sehe, die sich weder selbst versorgen noch den Urin halten können, möchte ich nicht erleben. Man bietet ein Bild des Elends, betrübt die Mitmenschen, die einen so ganz anders in Erinnerung haben mit dem Anblick, verliert die Würde und bei Verlust der geistigen Fähigkeiten auch noch die Möglichkeit, über sich selbst zu bestimmen.

Manchmal kam es mir so vor, als hätte der besagte Patient klare Momente. Dann sprach er von seiner Frau, seinem Sohn, erzählte von früher, eine Anekdote zu seinem Gebiss. Noch immer stottrig und leise aber doch zusammenhängend.
Als ich die Pfleger auf diesen Zustand hinwies, entgegneten sie, dass das nicht ernst zu nehmen sei. Nicht ernst zu nehmen. 
Ich stellte mir vor, wie es mir ginge, wenn ich meistens geistig umnebelt gelegentlich doch wieder klar denken könnte und mich trotzdem niemand für voll nähme. Man würde gegen eine Wand reden, weiter wie ein Kind behandelt werden und irgendwann einfach verzweifeln.

Dem Mann wurde in diesen Augenblicken auch klar, dass er nicht wirklich eine Chance auf Heilung hat. Noch weniger Gründe für ihn, das tägliche Elend der Schmerzen, der Verwirrung und die fehlende Beachtung zu ertragen.
Nach einem der Weinkrämpfe brachte ich ihn in sein Zimmer, sollte ihn beruhigen. Ich streichelte seine Hand, um ihn irgendwie zu zeigen, dass er nicht ganz allein ist. Und auch einfach, weil ich nicht wusste, was ich sonst hätte tun können. Er weinte bitterlich und meinte, dass er sich umbringen würde, wenn er könnte, weil er das nicht mehr aushalte. Er fragte mich, ob ich ihm dabei helfen könne.

Sterbehilfe. Ich hielt die Möglichkeit, selbst entscheiden zu können, ob das eigene Leben noch lebenswert oder aussichtslos wie hier im Falle einer durch eine Krankheit extrem niedrige Lebensqualität ohne Aussicht auf Besserung ist, schon immer für sinnvoll. Doch erst in diesem Moment konnte ich verstehen, weshalb Ärzte und Pfleger eben diese Sterbehilfe auch trotz des diese ablehnenden Gesetzes gaben. Weil alles andere in einigen Fällen bedeutet, den Patienten weiter leiden zu lassen und hoffen zu müssen, dass das Leiden kein allzu langes mehr ist. Das Gefühl der Hilflosigkeit ist grässlich. Die Hand desjenigen halten und Trost spenden ist alles, was ich tun konnte.

Der Mann wurde in eine andere Station verlegt, doch auch da können sie nur noch palliativ statt kurativ behandeln. Gefühlt ist der Totenschein schon vorbereitet und man wartet nur noch darauf, das Datum eintragen zu können.

Zwar ist er nun nicht mehr auf der Station, in der ich mein Praktikum absolviere, doch aus den Augen heißt nicht immer aus dem Sinn. Ich erlebe sein Sterben nicht mit, sein Leid erlebte ich aber. Das Problem ist, dass ich eine gewisse emotionale Bindung zum Patienten zuließ. Ich habe Mitgefühl. Patienten sollten einem nicht gleich sein, doch eine gewisse Distanz hilft. Zukünftig werde ich auch besser darauf achten, eben jene zu wahren. Es gibt realistisch betrachtet im Klinikalltag einerseits zu viele Patienten für zu wenig Personal, um sich für jeden Zeit für persönliche Gespräche, die über die Behandlung hinaus gehen, zu nehmen und andererseits ist es viel zu belastend, den Patienten nicht nur als Patienten, sondern auch als Person; als Charakter zu betrachten und dementsprechend sich wohlmöglich mit demjenigen verbunden fühlend mit zu fühlen und zu leiden. Es ist wohl Selbstschutz, eine gewisse distanzierende Schutzmauer aufzubauen.

In der Pathologie war es deutlich weniger bedrückend. Dort leidet niemand mehr.

Apfelkern

Sonntag, 19. August 2012

Beige Gefühle

Dunkle erinnere ich mich, dass Beige einst als Farbe der älteren Menschen und biederen Personen galt. Die Jugend dagegen bevorzugt leuchtendere Farben, lebendigere Farben statt das nahezu farblose, nichts sagende Beige. Irgendwas eben - Hauptsache nicht Beige.

Diese Farbe war für mich schon immer ein eindeutiges Zeichen für das zunehmende Alter seines Trägers. Heißt es denn nicht, dass die Kleidung mit dem Alter immer beiger wird und die Schuhe immer braune? Daher war Beige für mich nie eine Farbe, sondern viel mehr eine Lebenseinstellung.
Und jetzt kommt das, was mich extrem verwirrt: ich sehe seit einiger Zeit extrem oft junge Leute mit beigen Hosen, Mänteln, Shirts und sonstiger Kleidung dieser Farbe umherlaufen. Was ist passiert?!

Die von mir als so altbacken empfundene Farbe ist zum Favoriten der Designer, Fashionblogger, Modeopfer und Konsorten geworden. Sie ist ja so distinguiert und sophisticated - und hipp.

Also tragen nicht nur die Mitmenschen 50+ Beige, sondern auch meine Altersgenossen. Kamelfarbene Hosen belagern ganze H&M Filialen (gut, den Verdacht, dass H&M für hässlich und modern stehen könnte, habe ich schon seit einer Weile), sandfarbene Shirts an jungen Frauen kreuzen meinen Weg und stören mein Weltbild.
Natürlich bringt es junge Menschen nicht um, sich in Beige zu kleiden und klar ist es eine engstirnige und nicht zu haltende Erwartung, dass nur ältere Menschen Beige tragen und doch…

Ich denke, es liegt nicht einmal daran, dass alle plötzlich eine Liebe zu dieser Farbe entdeckt haben, sondern viel mehr, dass sie aktuell so verstärkt in den Geschäften angeboten wird und man kann nur das kaufen, was auf dem Markt ist. Mit steigendem Beigeanteil in den Geschäften erhöht sich ganz klar auch die Wahrscheinlichkeit, ein Teil dieser Farbe zu erwerben.

Vor zwei oder drei Jahren waren die so verstärkt angebotenen Farben, Violett und Türkis, was ich anfangs gut und dann irgendwann wegen der ständigen Überflutung mit diesen Farben nahezu nervig  fand. Das hat sich inzwischen auch gelegt und genauso wird auch der Trend zu der Trenchcoatfarbe schlechthin vergehen. Hoffentlich.

Kleidung ist hauptsächlich dazu da, warm zu halten, praktisch zu sein und natürlich auch dabei möglichst vorteilhaft auszusehen. Wegen des ersten Eindrucks und vielleicht auch der Wirkung auf das andere Geschlecht. Es geht für mich darum, dass Kleidung bequem ist und ich mich darin wohl fühle. Wenn sie auch noch schmeichelhaft aussieht ist es umso besser.
Für neue Modetrends hatte ich nie ein besonderes Interesse - warum auch? Meistens gefielen sie nicht und ich trage doch nichts, das mir gar nicht gefällt nur weil es modern ist. Außerdem erhöht das auch die Wahrscheinlichkeit, dass man wenn man sich den Trenddikaturen ergibt, genauso aussieht wie alle anderen, die dem Saisontrend folgen. Und das will man ja auch nicht.

Während ich so fein über das altersschwache Beige herzog, fiel mir auf, dass mein Blog ja auch einen gewissen Beigeanteil vorweist. Super, dass einem aber auch immer auffallen muss, dass man im Glashaus sitzt, nachdem man mit Steinen geworfen hat. Aber wenigstens ist meine Kleidung noch nicht beige. Moment mal - was macht das noch in diesem Satz?!

Apfelkern

Donnerstag, 16. August 2012

Klischeegetreue Wirklichkeit. Oder so

Zahlreiche Mythen ranken sich um jene Wesen, die selten das Licht des Tages erblicken. Nicht oft kann man sie in freier Wildbahn sichten. Das liegt jedoch nicht daran, dass sie selten sind - nein, das ist es nicht!- der Grund dafür ist eher, dass diese Geschöpfe es vorziehen, im Verborgenen zu leben. Zudem sind sie sehr lichtscheu und daher auch nachtaktiv. Sie bevorzugen es, Distanz zu anderen Lebewesen zu halten und auch Artgenossen nähern sie sich nur in Ausnahmefällen.
An ihren Lebensraum stellen sie eine grundlegende Voraussetzung: es muss WLAN vorhanden sein. Immer. Ohne Unterbrechungen. Ein internetfähiges Gerät führt der gewöhnliche Onliner sowieso immer mit sich. Da ist es auch selbstverständlich, dass er sämtliche Zeit, die er nicht für lebenserhaltende Dinge wie Nahrungsaufnahme oder Schlaf benötigt, in eben jenem Internet verbringt.

Ganz anders in seiner Lebensweise ist der Offliner. Er ist froh, wenn er das lästige Ding namens Computer nur für berufliche Zwecke nutzen muss. Der Kampf mit dem Drucker zählt zu seinen regelmäßigen Leiderfahrungen. Er lernt das Nötigste, um dieses Teufelszeug was sich Internet schimpft soweit wie erforderlich zu benutzen, stellt sich dabei aber oft ungeschickt an und jammert über diese "moderne" Technik obwohl sein eigener Laptop - insofern vorhanden - auch schon nicht mehr der neueste ist. Sucht er denn einmal das Internet in seiner Freizeit auf, dann höchstens um Mails zu lesen und zu versenden - diesem Kommunikationsweg kann man sich leider auch der Offliner nur schwer entziehen- oder zu sehen, ob bei Facebook, wo er sich aus Gruppenzwang angemeldet hat, etwas passiert ist.
Natürlich gibt es auch innerhalb der Gruppe der Offliner Differenzen, sodass sich sogar noch Exemplare finden, die bisher noch keinen Kontakt mit dem verderblichen Internet hatten. Diese Gruppe  ist jedoch auf lange Sicht in ihrer Existenz bedroht.

Beides sind natürlich keine Beschreibungen, die den Anspruch erheben, komplett wirklichkeitsgetreu zu sein, da sie viel mehr klischeegetreu sind, doch die grundsätzliche Einteilung der Menschen in eben jene Gruppen erlebe ich in meinem Umfeld.
In der linken Ecke: die Onliner!
24/7 vernetzt, drahtlos, dreifach sicherheitsgespeichert  und organisiert, fehlernährt, WLAN-abhängig und sozial vereinsamt.
Und in der rechten Ecke - die Offliner! Den Brockhaus im Regal, der Handschrift mächtig und vertraut mit internetlosen Kommunikationsformen sind sie das traditionelle Modell, das auch außerhalb der Empfangsgebiete funktionsfähig ist, jedoch von modernen Errungenschaften ausgeschlossen ist.

Seht ihr euch selbst als Onliner oder Offliner? Was genau ist das eigentlich? Es ist nicht leicht, das abseits der Extremfälle zu definieren. Jemand, der das Internet überhaupt nicht nutzt - und das sind laut welt.de noch 24,4% der Deutschen- ist sicher ein Offliner. Jemand, der 24/7 online ist, wird sicher ein Onliner sein, doch wo sind die Grenzen? Die meisten haben eine Mailadresse, doch wie bereits geschrieben sehe ich das nicht als Grund, denjenigen zu den Onlinern zu zählen. Nur weil man sich einen Kittel anzieht ist man noch längst nicht Arzt.

Onliner zu sein bedeutet nach meiner persönlichen Definiton eher, nicht nur passiv, beispielsweise für Recherchen, das Internet zu nutzen, sondern auch aktiv Inhalte zu erstellen. Ein eigener Blog, ein eigener Youtube Kanal, ein Twitteraccount, Google Plus, podcasten und was es da sonst noch alles gibt. Es heißt aber für mich nicht nur, Inhalte zu produzieren und zu teilen, sondern auch zu kommunizieren und auch zu einer bestimmten Gruppe von Personen regelmäßigen Kontakt zu haben.
Allerdings muss das nicht heißen, dass man sich eine Art zweite Identität; ein zweites Leben im Netz aufbaut, sondern dass es einfach zu einer Erweiterung des wirklichen Lebens wird. Ein Teil davon.

Das stört mich auch an der Bezeichnung Reallife für das Offline- Leben; den Alltag. Denn das Gegenteil von Real, also echt, wäre wie schon früh gelernt falsch. Und das Internet dementsprechend als Fakelife zu sehen, wäre ganz und gar nicht treffend. Es gehört auch zum realen Leben und beeinflusst die persönliche Entwicklung, selbst wenn man nicht mit einem Klarnamen agiert. Denke ich zumindest.

Einen wirklichen Kampf wie beim Boxen gibt es zwar nicht zwischen benannten Onlinern und Offlinern, doch es kommt mir teilweise schon so vor, als würden sie sich als verfeindete Gruppen betrachten. Je nach Charakter des Einzelnen versuchen sie sich nachzuweisen, wie falsch die jeweilige Lebensweise ist.
"Du bist ja schon internetsüchtig!" 
"Informationssuche, Einkaufen, Kommunikation -du machst dir deinen Alltag viel komplizierter!" 
Von dem Gedanken, dass es ein Schwarz und ein Weiß gibt, habe ich mich schon lange verabschiedet. Da sind noch all die Graustufen dazwischen und wer bitte sagt denn, dass nicht das Weiß das Böse ist…
Es muss wahrscheinlich jeder selbst herausfinden, welche Lebensweise ihm am besten zusagt und dabei werden sich die wenigsten für ein Extrum entscheiden, sondern viel mehr einen Mittelweg wählen.

Dabei bleibt zu hoffen, dass das eigene Umfeld auch die persönliche Entscheidung für den gewählten Weg akzeptiert, auch wenn es nicht deren eigene Wahl ist.
Auch wenn man es selbst für sinnlos hält, mit Menschen Kontakt aufzubauen, die vielleicht tausend Kilometer weit weg sind, seinen Alltag zu teilen oder tägliche Selbstportraits und Katzenbilder zu posten: man kann es akzeptieren. Umgekehrt ebenso.

Akzeptanz hin oder her: es gibt doch irgendwo Grenzen. Gespräche über die Blogosphäre sind mit Offlinern kaum möglich, man kann mit ihnen nicht mal eben spontan videotelefonieren und über das letzte Video des Lieblingsyoutubers kann man sich auch nicht austauschen. Stattdessen erklärt man ihnen viel eher per Telefon, wie man Mails mit Anhang versendet.
Da das Netzleben in meinen Augen kein eigenständiges, zweites Leben in einem Paralleluniversum, sondern Teil des Reallifes ist, kann man es auch nicht dauerhaft ausklammern. So stelle ich es mir auch vor, dass eine Partnerschaft zwischen zwei Onlinern oder auch zwei Offlinern den Vorteil hat, dass sich mehr Lebensbereiche überschneiden und so verbindende Gemeinsamkeiten entstehen. Natürlich gibt es Freundschaften zwischen Onlinern und Offlinern - aber es ist nicht das Gleiche. Es heißt nicht, dass es schlechter ist. Nur anders. Es gibt einfach Dinge, über die ich mit befreundeten Offlinern nicht reden kann. Doch das gilt für die Onliner in anderen Bereichen auch.

Wenn ich das so formuliere, klingt es, als würde ich für mich die Position eines Onliners einnehmen. Ist das so? Ich weiß es nicht. Mein Nutzungsverhalten würde diese Bezeichnung bestätigen, doch es gibt immer wieder Phasen, in denen ich internetlos lebe. Unabsichtlich wohlgemerkt.
Dieses unabsichtlich beinhaltet, dass ich in dieser Zeit jedoch gern Internet hätte. Bin ich also doch ein Onliner? Wahrscheinlich. Vielleicht. Aber ein Digital Native…? Eher nicht.

Wenn man sich spontan einer  der beiden Gruppen zuordnen müsste, würde ich mich wohl zu den Onlinern stellen. Würde ich euch dort treffen?


Apfelkern

Montag, 13. August 2012

Existieren aus Gewohnheit

Was ist eigentlich in fünfzig Jahren? Die Frage kam mir kürzlich in den Kopf als ich meinen Opa für einige Tage besuchte.

Obwohl sein Alter sich schon langsam in Richtung der achtzig bewegt, ist er völlig selbstständig: kocht, wäscht, fährt Auto, kauft alles Nötige ein, geht zum Arzt, beackert seinen riesigen Garten, koordiniert seine Termine. Mit der komischen modernen Technik wie Mobiltelefonen (erreichbar täglich von 20.00-21.00 Uhr) oder Computern (Was haben alle immer mit diesem Internet - das haben wir früher auch nicht gebraucht!) will er nichts zu tun haben, doch er kommt auch so klar. Das macht es für uns als seine Familie einfach.

Aber wenn man genauer hinsieht muss man feststellen, dass es doch nicht so schön und reibungslos ist, wie es scheint. Er vergisst immer öfter, seine Pillen zu nehmen. Er sieht nicht mehr so gut und bemerkt so weder beim Abwaschen die Saucenreste im Topf noch dass die selbsteingelegte Gurke, die er sich gerade in den Mund schiebt, eigentlich schon schimmelt. Er hat Rückenschmerzen, läuft sichtbar langsamer als er es vor einem Jahr tat. Seine Freunde werden Jahr für Jahr weniger: sie fallen dem Zahn der Zeit zum Opfer. Er kann nicht mehr gut schlafen und steht ohne Zwang dazu schon um fünf Uhr auf. Ruhelosigkeit. Und warum fällt ihm nicht eigentlich auf, dass dringend wieder einmal Staub gewischt werden müsste?

Ich habe das Gefühl, mit der Zeit verstärken sich wesentliche Charakterzüge. Sowohl die guten als auch die schlechten. Er ist gutmütiger gegenüber anderen und gleichzeitig strenger gegenüber sich selbst. Er geizt an allem, das für ihn selbst ist. Seiner Meinung nach lohnt es eh nicht mehr in ihn zu investieren. Schließlich wäre er ja schon alt und damit abgeschrieben.

Diese Denkweise schockierte mich. Wie kann er das nur sagen?
Ich wies seine Aussage zurück und betonte, dass wir ihn als Familie bräuchten; dass er als geliebtes Familienmitglied einfach dazugehört, dass wir alle seine Anekdoten von früher lieben und wir auch viel von ihm lernen könnten.
Wirklich überzeugt schien er nicht.

Auch wenn unser Gespräch an dieser Stelle beendet war, grübelte ich weiter.
Welche Aufgabe hat er eigentlich noch? Er ist im Ruhestand und erfüllt keinen Beruf mehr, Mitglied eines Vereines ist er nicht und auch sonst hat er keine wirklichen Verpflichtungen mehr. Um ganz ehrlich zu sein: seine Kinder sind selbstständig geworden und überleben auch ohne ihn. Rein objektiv betrachtet ist niemand auf seine Hilfe angewiesen.
Der Mensch braucht eine Aufgabe; einen Sinn im Leben - etwas, nach dem er streben kann. Fehlt das, ergibt es auch keinen Sinn, weiter zu leben. Man existiert einfach nur noch um zu existieren. Kein Wunder, dass man eine Sinnlosigkeit und Leere verspürt, wenn das der Fall ist.

Man hofft, dass der Fall der plötzlichen Sinnlosigkeit der eigenen Existenz nie eintritt. Oder dass man es nicht bemerkt, denn solange man wie der Hamster im Laufrad rennt ohne weiter zu kommen und das nicht bemerkt ist alles in Ordnung. Wahrscheinlich wird die Leere erst bedrückend, wenn sie einem bewusst wird. Ich bin froh, sagen zu können, im Moment dieses Gefühl überhaupt nicht zu haben - es gibt Menschen und Dinge, wegen denen ich jeden Tag aufstehen will.

Das hilft meinem Großvater auch nicht. Was kann ich als Enkelin schon tun? Klar könnte ich ihn noch öfter besuchen und so die Einsamkeit mildern, doch eine Aufgabe gibt ihm das noch immer nicht. Ich könnte bei diesen häufigeren Besuchen in seinem Haus sauber machen, waschen und für ihn kochen.
Und warum Konjunktiv? Weil ich es nicht regelmäßig tue. Natürlich besuche ich ihn so wie er uns besucht, doch ich kann meiner Meinung nach nicht vier Tage in der Woche zu ihm fahren und mich um ihn kümmern als wäre ich seine Pflegerin.
Trotz der Familienbande und davon unabhängigen Zuneigung zu ihm: ich habe ein eigenes Leben. Und noch mehr Verwandte, Freunde und Mitmenschen als ihn, die meine Aufmerksamkeit und Zeit benötigen.
Ist das jetzt herzlos? Darf man in solchen Dingen Prioritäten setzen? Ich weiß es nicht.

Die Idee, ihm einen professionellen Pfleger zu stellen kam auch schon auf, doch er würde alles ablehnen, was seine Selbstständigkeit infrage stellt. Auch das Leben im Heim wäre keine Option für ihn. Niemals. Er hat zu lange für Haus, Garten und Boot gearbeitet, um all das aufzugeben.
Ich würde auch nicht im Heim wohnen wollen. Einsamkeit in der Gruppe, Anonymität und das Nötigste an Pflege. Wahrscheinlich sind das alles nur Vorurteile und doch sind sie tief genug in mir verankert, um nicht ins Heim zu wollen. Zwar betrifft mich selbst das Problem noch nicht, aber man kann schon einmal darüber nachdenken statt nur in den Tag hinein zu leben.

Wenn ich nicht ins Heim wollen würde könnte ich auch niemand dorthin schicken ohne ein schlechtes Gewissen dabei zu haben. Dieses schlechte Gewissen habe ich allerdings wie beschrieben auch schon so, wenn ich an die routinierte Lebensleere meines Großvaters denke.

Vielleicht ist es ja auch aus seiner Perspektive gar nicht so wie ich es wahrnehme. Es könnte sein, dass er trotzdem glücklich mit seinem Leben ist: mit seinem Garten, den Kochsendungen und den Besuchen bei uns. Und doch wäre ich - wenn ich das, was ich als sein Leben wahrnehme- mit anderen und mir selbst vergleiche, so nicht glücklich.

Allein vom körperlichen ausgehend wird er noch einige Jahre vor sich haben. Er hat bloß keinen wirklichen Grund mehr dazu - er existiert aus Gewohnheit einfach weiter.
Aber wie lange kann man einfach nur weiterleben ohne einen Sinn darin zu sehen? Vielleicht stumpft man zum Selbstschutz ab. Vielleicht findet man einen Sinn. Oder man selbst beziehungsweise der Körper lässt das Weiterleben sein.

Ich hoffe, es wird nicht Variante drei sein, die eintritt. Ist diese Hoffnung egoistisch?
Anscheinend will ich wohl nur nicht das gewohnte Wissen, dass er da ist, umschreiben müssen.

Apfelkern

Samstag, 11. August 2012

Und tschüssn

Erinnert sich eigentlich noch jemand an das musikalische Projekt 52, an dem ich bis vor gar nicht so langer Zeit fleißig teilnahm?

Es fehlt mir noch genau ein Thema, um alle 52 davon bearbeitet zu haben. Wegen des Urlaubs bekam ich nicht mehr mit, wie besagtes 52. Thema hieß und so blieb dieses Thema bisher unbeachtet von mir. Um nun aber die komplette Liste abhaken zu können, ergänze ich nun noch den letzten Punkt. Schließlich wäre es albern, die Vollständigkeit wegen eines einzigen Themas zu verfehlen.

Das gesamte Projekt hat mir Spaß bereitet, ich stieß darüber auf neue Musik und neue Blogs, doch das trifft hauptsächlich auf die Anfangszeit des Projekts zu. Mit der Zeit wurde es immer mehr zu einer Pflicht - nicht lästig aber auch nicht mehr neu und aufregend. Das Leben ist leider oft so. Ich war trotzdem entschlossen, das angefangene Projekt zu beenden. Halbe Sachen sind ja doof.
Abschließend möchte ich Konna noch einmal dafür danken, dass er dieses Projekt ins Leben gerufen hat.

Und nun zum "aktuellen" Thema, welches ganz passend Abschied lautet. Spontan fiel mir Placebos Song to say goodbye ein, doch da diesen bereits jemand zu diesem Thema gewählt hatte und ich zudem mehr als genug Titel von Placebo für dieses Projekt vorgestellt habe, wählte ich den zweiten Gedanken und den ebenso offensichtlich passenden Song: Goodbye von Eddie Vedder.

Ruhige melancholische Musik, Geschrammel auf der Ukulele, nachdenklicher Text und eine Atmosphäre, die bei mir unterbewusste positive Erinnerungen anspricht. Und das, obwohl es um Abschied und eine unerfüllte Liebe geht.

Eddie Vedder - Goodbye



Alles hat ein Ende nur die Wurst hat zwei - das war's also mit diesem Projekt.
Mh, das Lied mit der Wurst hätte ja auch ganz gut zu dem Thema gepasst…

Apfelkern

Donnerstag, 9. August 2012

Tempus fugit

Ein Blick auf den Kalender. Es ist Anfang August; na ja, fast schon wieder Mitte August. Moment - hatte das Jahr nicht gerade erst begonnen?
Es kommt mir vor als wäre es gestern gewesen, dass wir das Jahr 2012 mit Fondue, Luftschlangen und Wunderkerzen begrüßten. Inzwischen sind aber schon mehr als drei Viertel davon vergangen. Krass.
Ich habe zwar schon einiges erlebt und darunter sogar diverse wunderschöne Momente, doch reichen sie, um das Zeitverstreichen bis zum Monat August zu erklären?
In der Verwandtschaft wird ein vierzehnter Geburtstag begonnen. na nu - fand nicht vor nicht allzu langer Zeit mein vierzehntes Wiegenfest statt?

Ich erinnere mich gut an meine ersten Sommerferien. Sechs Wochen lang bin ich aufgewacht und wunderte mich, dass schon wieder ein freier Tag bevorstand. Diese Zeit erschien mir fast endlos. In den folgenden Jahren jedoch war es anders: je öfter ich in den Genuss der schulischen Sommerferien Sommerferien kam, umso kürzer erschienen sie mir.
Zwei Wochen Urlaub, zwei Wochen Praktikum, eine Woche mit Freunden, eine Woche nichts tun, eine - oh, das war es schon mit den Ferien. Und so geht es mir nicht nur hinsichtlich der beispielhaft gewählten Ferien. Die Zeit scheint allgemein nur so vorbei zu fliegen. Nicht, weil ich mich permanent im Stress befinde, immer nur freudige Momente erlebe in denen die Minuten ja angeblich am schnellsten weichen oder extrem viel schlafe - die Zeit hat einfach so beschlossen, sich zu verflüchtigen.

Heißt es nicht eigentlich, dieses Erleben der geradezu verschwindenden Zeit wäre ein Phänomen, das vor allem bei alten Menschen auftritt? Ich stellte es mir so vor, dass eben jene älteren Herrschaften in ihrem Leben schon viel erlebt und sich über Jahre eine gewisse Routine, einen Alltag angeeignet haben und ihn nun weiter Tag für Tag wiederholen. Ist das der Fall, spult das Hirn täglich das Routineprogramm ab ohne groß nachdenken zu müssen und dadurch entstehen auch keine relevanten und damit zu behaltenden neue Erinnerungen, weshalb man das "Verfliegen" der Zeit erlebt. Zumindest war das meine Theorie.

Mein Leben ist nicht in einen Alltagstrott verfallen; es gibt zwar Konstanten aber auch diverse Abweichungen im Tagesablauf, Überraschungen, besondere Gespräche. Ich erlebe neue Dinge und lerne dazu - eigentlich Ausschlusskriterien für diesen Alltagstrott aufgrund immer gleicher Tage. Aber auch nur eigentlich.

Ein anderer Erklärungsansatz für die beschleunigte Zeitwahrnehmung ist, dass man im Gegensatz zu jüngeren Jahren viel langfristiger plant. Wir überlegen nicht nur, was wir in zwei Tagen machen werden, sondern organisieren Termine auch einmal vier Monate im Voraus. So gewinnen wir einen Überblick über die kommenden Monate, betrachten das Verstreichen der Zeit genauer. Der nächste Tag ist nicht wie in den beschriebenen Sommerferien zwischen dem ersten und zweiten Schuljahr überraschenderweise frei, sondern wir wissen ganz genau, wann wir wie lange wo sein müssen; welcher Tag heute ist und welcher morgen sein wird. Also kommt zwar keine Routine auf, doch es fehlt einfach an Überraschungen. Und so könnte es allein deshalb eintönig werden, weil wir schon in den meisten Fällen wissen, was uns in einigen Wochen bevorsteht und wir uns an den Gedanken gewöhnen.

So weit so gut - aber was mache ich jetzt dagegen, dass die Zeit in meiner Wahrnehmung so sehr vorbeifliegt? Einfach spontan sein und neue Dinge ausprobieren? Das wird wahrscheinlich funktionieren, um den Alltagstrott sowie das Gewöhnen an langfristig geplante vorhersehbare Termine zu verhindern. Aber geplante Spontanität ist auch nur bedingt spontan.
Wie wäre es dann mit Dingen, die man terminlich zwar planen kann, bei denen man aber nicht genau wissen und vorhersehen kann, wie sie ablaufen werden, da es sich um komplett neue Dinge handelt? Das klingt für mich nach einer guten Lösung, deren Haken jedoch darin besteht, dass man nur eine bestimmte Anzahl komplett neuer Veranstaltungen und Aktivitäten findet, die man auszuprobieren bereit und in der Lage ist. Also auch keine Dauerlösung.

Dauerlösung ist sowieso schon so ein Wort, das langfristige Planung und Routine impliziert. Abwechslung planen zu wollen ist albern; wahrscheinlich sollte ich nicht zu viel darüber nachdenken und einfach mal etwas anders machen - auch wenn es nur Kleinigkeiten sind.
Darüber nachzudenken, ob man dabei ist, in einen Trott zu verfallen hilft immerhin schon dabei, genau das nicht zu tun. Außer das Denken, wie man aus dem Trott ausbricht wird selbst Teil des Alltagstrotts.

Vielleicht hilft es auch, Termine zu finden, auf die man sich so sehr freut, dass man sie am liebsten sofort erleben würde. Da während des Wartens die Zeit sich oft zu ziehen und langsam zu vergehen scheint, könnte es gegen das Verschwinden der Zeit helfen. Doch auch nur bedingt, denn dann verfällt man in ein vorfreudiges Warten und schafft in dem Moment des Wartens auch keine neuen Erinnerungen an denen man später festmachen kann, dass der Monat doch nicht inhaltslos war.

Routine kann zwar angenehm sein, doch das Leben ist auch zu kurz, um immer nur das gleiche zu machen. Einfach mal die Nase aus dem Schneckenhaus herausstrecken und etwas anderes versuchen. Und wenn man sich nur lachend über den Boden rollt - das ist merkwürdig genug, um nicht im Alltagsgrau unterzugehen und eine konkrete Erinnerung zu werden.

Apfelkern

Sonntag, 5. August 2012

PMDD#11

Es war wieder soweit: das Netzwerk bat um einen Einblick in den Alltag und da ich diesem Druck nicht entgehen konnte, beteilige ich mich. Ich finde solche Aktionen sehr interessant, da sie die Blogger untereinander verbinden und man andere ein wenig näher kennen lernt, auch wenn man nicht das Bloggertreffen besuchen konnte.

Außerdem ist es die optimale Gelegenheit, die internetabstinenten Mitmenschen damit zu verstören, dass man sein Essen fotografiert. Ich musste mich aber sowieso sehr bemühen, um vom Eindruck, ich wäre den ganzen Tag damit beschäftigt gewesen, Essen zu bereiten und zu verzehren, abzulenken. Nur deshalb habe ich auch das ganze andere Zeug vor die Linse geholt.

Na dann mal los. Ein Tag im Leben eines Apfelkerns.


Aufstehen


Frühstücken. Nicht zu viel; es ist ja schon recht spät


Waschbecken sauber machen


Geschirrspüler ausräumen


Langweilige Post lesen


Musik hören. Weichspülmusik, um genau zu sein. Man gönnt sich ja sonst nichts.


Blogkommentare beantworten


Neue Blogposts lesen


 Mittag kochen. Gurken aus Opas Garten, Borretschblüten, selbstgeräucherter Schinken


Verzehrbereite Schmorgurken


Videos ansehen und dabei stricken


Den Kampf gegen den Drucker gewonnen - Hell Yeah!


Pflaumen kleinschneiden und dabei eine Podcastfolge anhören. 


Pflaumenmus abfüllen, um den Vorrat im Keller zu erhalten


Selbstgebackene Biskuitrolle mit eigener Konfitüre essen und Schwarztee trinken


Eine irr umher kriechende Schnecke auf der Schaukel beobachten



Die Schaukel okkupieren


Lektüre im Garten


Gemüse kleinschneiden


Daraus eine Gemüsepfanne mit Feta zusammenrühren 


Bratwurst vom Grill, Gemüsepfanne und Zigeunersauce. Es gibt deutlich besser schmeckende Dinge als Bratwurst.


Auch die Katze wollte sich nicht mit Bratwurst füttern lassen


Skaten gehen am Abend



Und wenn man schon mal dabei ist, Sport zu machen, legt man gleich noch eine Runde Pilates obendrauf


Anschließend wurde noch ein erfreuliches Telefonat geführt und dann ins Bett gefallen. Es gibt keine Bilder davon. Denn ein bisschen Privatsphäre darf sich ein Blogger ja ab und zu auch mal gönnen. Alles in allem ein guter Tag.

Apfelkern

Freitag, 3. August 2012

Der äußere Schein

Es ist ein Sommernachmittag mit viel zu warmen 29°C, ich sitze in der S Bahn und versuche mich auf mein Buch zu konzentrieren, doch die Gedanken schweifen ab. Möglichst unauffällig betrachte ich die Mitreisenden.
Ein dicklicher älterer Herr schnauft gerade noch rechtzeitig in den Wagon, bevor die Türen sich schließen. Unter seinen Armen zeichnen sich deutlich große Schweißflecken auf dem Poloshirt ab. Ich sehe genau, wie der Blick der mir gegenübersitzenden jungen Frau auf eben jene Schweißflecke fällt und sie missbilligend die Nase rümpft. Ganz leicht nur aber trotzdem eindeutig.
Sie ist nicht die einzige, die beim Anblick solcher Kleinigkeiten das Gesicht verzieht. Ein junger Mann mit Smartphone unterbricht das offensichtlich routinierte Wischen auf dem Touchscreen, um entnervt zu einer Frau aufzusehen, die auf ihrem deutlich älteren Mobilfunkgerät herumtippt und dabei jedes Mal ein piependes Tastengeräusch in ihre Umwelt entlässt. Die Aufforderung, sie solle die nervtötendenTastengeräusche deaktivieren, steht ihm ins Gesicht geschrieben, doch er schweigt weiter und widmet sich wieder seinen Smartphone. Nicht aber ohne zuvor die Ohren mit Kopfhörern bedacht zu haben. Erfolgreich isoliert.

Eine Frau sitzt neben einem Kinderwagen und schiebt ihn gleichmäßig auf und ab, um das stetig quengelnde Kind zu beruhigen. Ihre Bemühungen sind von mäßigem Erfolg gekrönt. Vielleicht ist es auch die Hitze, die das Kind stört: es beginnt zu weinen. Wieder hagelt es genervte Blicke, Seufzer.
Drei Jugendliche essen ihre Döner und verteilen dabei Zwiebelringe und Fitzelchen von Rotkohl um sich herum. Ein vielleicht dreißigjähriger Mann mit mehr als einem bloßen Ansatz eines Bäuchleins hat wegen der Temperaturen sein Hemd komplett aufgeknöpft. Irgendwie verstörend. Ich sehe weg.
Männer starren Frauen in den Ausschnitt und grinsen anzüglich, Frauen starren anderen Frauen auf die Beine und ziehen die Augenbraue hoch, wenn sie entdecken, dass die Gliedmaßen nicht tadellos enthaart sind. Und alle beäugen einander skeptisch und tun aber dabei so als würden sie einander gar nicht beachten.
Diese Dinge fielen mir auf und ließen ein gewisses Unwohlsein aufkommen.

In der Bahn sitzt man eng zusammen - es geht gar nicht anders- und doch isoliert sich jeder so gut es geht. Man stellt die Tasche zwischen sich und seinen Sitznachbarn, rutscht zum äußersten Rand des Sitzes oder dreht sich halb weg. Man studiert die Mitreisenden genau - natürlich ganz unauffällig- und fühlt sich selbst beobachtet.
Nur extrem selten erlebe ich es, dass jemand einem direkt in die Augen sieht; die meisten wenden sich ab, sobald sie bemerken, dass der Blick sie nicht nur zufällig traf. Bloß keinen Kontakt; nur ansehen und mental über andere anhand ihres Äußeren irgendwelche Schlüsse ziehen oder einfach in Gedanken lästern.
Um den Ellenbogen herum tättowierte Spinnennetzen waren schon vor fünf Jahren nicht mehr modern sondern nur noch albern. So badass. Nicht.
Okay, du leidest unter deiner Allergie aber kannst du bitte einfach mal aufhören so laut zu niesen?
Hübscher Fleck auf deinem Hemd. Kaffee?


Wir betrachten und beurteilen andere mit unglaublich arroganter Kritik und verbergen das nicht einmal besonders ambitioniert. Aber es auszusprechen wagt kaum einer. Einmal misstrauische Blicke für alle und Schutzmauer hochfahren. Nicht einmal in der Masse ist man unbeobachtet und anonym.

Es ist scheinheilig: äußerlich lächeln wir einander an und denken dabei etwas ganz anderes. Die kleinsten Kleinigkeiten werden herablassend beäugt. Schweißflecken, Haare auf Frauenbeinen, quengelnde Kinder. Das alles sind völlig menschliche Dinge - warum sollte ich sie mit so negativen Blicken kommentieren, wenn ich nicht in kurzer Zeit selbst derjenige mit den Schweißflecken sein könnte? Wirkliche Perfektion werden wir als menschliche Wesen sowieso nicht erreichen. Ist einfach so. Wäre meiner Meinung nach auch gar nicht erstrebenswert. Aber so tun als wären wir makellos können wir ja.

Diese Erwartung der zumindest oberflächlichen Perfektion nervt. Es ist wie ein Theater, das man täglich aufführt. Und sind die Haare anders als sonst nicht gekämmt, die Nägel abgekaut und kommt dazu noch schnell ein auffälliger Fleck auf dem Shirt kann man -für den Fall, dass jemand es auch einmal ausspricht- schnell mit der Frage rechnen, ob denn alles okay sei. Denn schließlich wahrt man den äußerlichen Schein, dass alles okay ist nicht mehr.

Ich habe das Gefühl, dass wir so viel Wert darauf legen, dass andere auf den ersten Blick rundum glücklich und gesund erscheinen, dass wir keinen Grund haben, uns mit ihren Problemen beschäftigen zu müssen. Natürlich hat jeder Menschen Sorgen - das ist völlig normal. Normal ist auch, sie nicht mit jedem zu teilen, doch erst einmal eine Person zu finden, die sich wirklich für die Probleme eines anderen interessiert ist schwer.

Die Frage "Wie geht es dir?"ist Ausdruck dieses Phänomens: man gibt eine Standardphrase von sich, mit der man Interesse heuchelt. Eine Reaktion auf ungewöhnliche Äußerlichkeiten, um sie offiziell schnell als "kein Grund, mich um den anderen zu sorgen" abtun zu können.
Und wenn man wie kürzlich von Knut in den Kommentaren erwähnt auf jene Frage mit "Maiskolben sind blau" antwortet: den wenigsten würde es auffallen, da ihnen die Antwort sowieso gleich ist. Es wird ein "Gut" oder "Alles okay"erwartet, etwas anderes zu sagen wagt kaum einer und dann verwirrt das den Fragesteller sehr, weil einfach keine Ehrlichkeit erwartet wird.

Es stört mich, immer dieses pseudoperfekte, zufriedene Bild nach außen aufrecht zu erhalten, um keine komischen Reaktionen zu erzeugen. Und obwohl ich das Theater für den Großteil der Umwelt nicht gern spiele, mache ich es doch. Man will ja nicht auffallen sondern einfach bloß seine Ruhe.

Wie gut, dass es doch noch ein paar Menschen gibt, die keine Maske erwarten, sondern sich wirklich um einen sorgen und in deren Gesellschaft man nicht befürchten muss, ein Aspekt der Persönlichkeit könnte nicht den Konventionen entsprechen und damit auch nicht akzeptiert werden.

Apfelkern


Mittwoch, 1. August 2012

Zahnpasta-Voyeurismus für alle!


Wir tun es jeden Tag und das im Normalfall nicht nur einmal. Und doch schweigen wir uns darüber aus: das Zähneputzen. Eins meiner liebsten Hobbys.

Ob gute alte Handzahnbürste, Dr.Bests ultramoderne High-Tech Konstruktion mit Zwischenborsten oder eine elektrische Zahnbürste- eins haben sie gemeinsam: ohne Zahnpasta fehlt ihnen etwas. Einfach mal ohne Zahnpasta putzen und feststellen, wie sehr wir den Inhalt der bunten Tuben unterschätzen. Lordy aber scheint die Bedeutung der Zahnpasta erkannt zu haben und interessiert sich so dafür, womit der Blogger seinen Mund schrubbt. Das muss der Grund sein, weshalb er zur Blog-Parade der Zahnpasten aufruft. Eine viel zu wunderbar skurrile Aktion um nicht daran teilnehmen zu wollen.

Daher kommt hier nun der große Moment meiner Zahnpasta:


Schmeckt wie… nun ja, wie Zahnpasta eben. Schön minzig und bloß nicht zu süßlich-synthetisch oder kaugummiartig wie diese Kinderzahnpasten, die ich noch nie mochte.
Den tollsten Geschmack einer Zahnpasta erlebte ich bei einer indischen Zahnpasta, die aromatisch nach Nelken schmeckte.

So, genug aus dem Zahnpasta-Nähkästchen geplaudert. Falls ihr die Neugier der Menschheit stillen wollt und endlich diese Frage nach der Zahnpastavorliebe aus der Welt schaffen wollt, könnt ihr gern auch eure Zahnpasta posten.

Frischgeputzt und minzig,

Apfelkern