Dienstag, 6. September 2016

Zu viel des Guten: Gedanken zur Selbstkritik

Baden gewesen, Bikini getragen, Bilder davon gemacht. Heute bin ich dazu gekommen, mir diese Bilder anzusehen und es war grässlich. Nicht mal, weil ich so furchtbar aussehe, sondern weil mir klar wurde, wie schrecklich kritisch und gemein ich mir selbst gegenüber bin.

Andere sehen auf den Fotos am See einen glücklichen Moment des Sommers. Ich sehe platt herabhängendes, zotteliges Haar, eine schief auf der Nase hängende Brille, mein breitestes Zahnfleischlächeln (kann ich denn nicht einmal normal lächeln wie jeder andere auch?!), Hautunreinheiten und eine schreckliche Speckfalte, weil ich mich auf dem Bild natürlich maximal nach vorn beugen muss. Boah und dann auch noch auf allen Fotos diese zusammengekniffenen Augen! Das kommt davon, wenn man sich gegen das Sonnenlicht fotografieren lässt.
Noch dazu betont das Licht so schön meine Ganzkörper-Tiefenweiße, die wahrscheinlich noch die Passagiere der Flugzeuge über mir blendet. Wobei die Blässe der Teil des Gesamtbildes ist, mit dem ich mich dann noch am meisten anfreunden kann.

Es ist schrecklich, meinen Gedanken zuzuhören, die Bilder von mir auseinandernehmen und darüber her ziehen. Jede Schwachstelle, jeder Fehler wird diskutiert. Aber warum nur? Freude macht es mir nicht, doch ich kann diese Gedankengänge auch nur schwer unterdrücken, wenn ich Bilder, Texte oder Audioaufnahmen von mir in die Finger bekomme.

Manchmal denke ich mir, dass wir uns selbst so streng betrachten, damit es kein anderer tut. Wenn wir selbst jeden unserer Fehler gnadenlos beleuchten und analysieren, können wir ihn beheben und so eventuell vor anderen verbergen, bevor es ihnen auch nur auffällt. Schließlich kritisieren wir uns still und heimlich in Gedanken und nicht öffentlich für andere hörbar.
Auch wenn diese Methode der Selbstanalyse mit nachfolgender "Problem"-optimierung funktionieren kann,  hinterlässt sie ein schlechtes Gefühl. Es macht das Verhältnis zur eigenen Person einfach nicht besser, wenn man sich Gedanken darüber macht, wie wohl jede Pore des eigenen Körpers auf andere wirkt. Sich mental selbst zu mobben ist wohl nie hilfreich - vor allem nicht fürs Selbstbewusstsein.

Schließlich bewerte ich Bilder anderer auch nicht so kritisch und fies wie meine eigenen. Bei anderen fixiere ich mich mehr auf das Gesamtbild, das dargestellte Ereignis und die Stimmung und nicht etwa darauf, ob ihre Brille dreckig und die Mascara verschmiert aussehen.
Dass man seine Wirkung auf die Umwelt so detailliert zu analysieren versucht, ist für mich auch ein Ausdruck davon, dass man sich selbst viel zu wichtig nimmt. Man ist aber nur das Zentrum seiner eigenen Handlungen und Entscheidungen, jedoch nicht das des Universums. Vergisst man manchmal auch zu schnell.

Was man nicht vergessen sollte: irgendwann werden diese Bilder Erinnerungen und wenn es gut läuft, werden es gute. Ein Sommertag am See, noch kein graues Haar in Sicht (egal ob nun zottelig oder perfekt geföhnt), kein Stress und so betrachtet sah man dann doch vielleicht nicht so furchtbar aus, wie man in dem Moment dachte und hätte gar keinen Grund gehabt, sich so viele Gedanken darüber zu machen.
So oft habe ich es schon von meinen Eltern, Großeltern, "älteren" Bekannten und ähnlichen gehört, dass sie sich ärgern, in ihren Teenagerzeiten und Zwanzigern so selbstunsicher gewesen zu sein, wozu sie rückblickend gar keinen Grund gehabt hätten. Sommersprossen, Pickel, Brillen, dicke Beine, die gar nicht wirklich dick sind und merkwürdige Mode, die irgendwann nur noch eine witzige Erinnerung werden, sind nichts, weshalb man sich selbst beschimpfen oder vor anderen verstecken muss. Sie alle meinten nur, sie wünschten sich, das früher erkannt zu haben und so nicht immer die blassen nicht ganz spindeldürren Beine auch im Hochsommer ständig unter langen Hosen versteckt, die Brillen für Bilder abgenommen (und dann mit zusammengekniffenen Augen weg von der Kamera geschaut) oder die Sommersprossen mit Schneckenschleim zu bleichen versucht zu haben.

Mit diesem Wissen im Hinterkopf versuche ich auch, mir gegenüber nicht zu kritisch zu sein. Meistens klappt es ganz gut und ich traue mich trotz imperfekter Haut mit Unreinheiten auf dem Rücken im Sommer im Top raus, das die "Problematik" nicht komplett verbirgt oder trage kurze Hosen, die über den Knien enden obwohl meine Oberschenkel definitiv breiter sind als meine Waden. Einfach, weil es normal ist. Trotzdem kommentiere ich mental mein von mir als unpassend oder peinlich wahrgenommenes Verhalten und Aussehen dabei weiter. Es ist nicht so leicht, mit sich selbst im Gleichgewicht und voller Selbstbewusstsein zu sein. Selbstbewusstsein im Sinne von Selbstsicherheit und nicht Bewusstsein gegenüber der eigenen Fehler. Sich nicht in den Handlungen von der Selbstunsicherheit einschränken zu lassen ist zumindest ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Denn jeder Mensch hat Aspekte, die dem gesellschaftlichen Ideal nicht entsprechen und die ihn verunsichern. Nur fallen die einem bei anderen meist nicht auf, weil es eben nicht die eigenen sind und man einfach darüber hinweg sieht.

2 Kommentare:

  1. Jeder ist sich selbst sein größter Kritiker (ah, ich hasse diesen Spruch haha), aber so unwahr ist er ja gar nicht. An anderen bewundert man wohl eher die guten Seiten, während man bei sich selbst immer die negativen Punkte anguckt. Ich habe als Teenager SO viele Selfies von mir gemacht, das war nicht mehr feierlich und seit wann bin ich viel zufriedener mit mir selbst? Seit ich nicht mehr so viele Bilder von mir mache. Ok, das klingt merkwürdig.

    Ich denke mir einfach, wenn andere dich nicht so abschreckend finden, kann es ja auch nicht so schlimm sein. Und in 60 Jahren würden wir uns freuen so auszusehen, wie wir jetzt aussehen. :)

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    1. Deine Gedanken klingen absolut nicht merkwürdig. Ich glaube, diese Selfie-Phase hat auch viel mit dem Aufbau einer Selbstwahrnehmung und Selbstreflektion zu tun. Seltsam ist nur, dass das bei einigen nicht zu enden scheint.
      Und ja, in 60 Jahren würden wir uns freuen, so knackig und beweglich zu sein wie jetzt. Also lass es uns jetzt schon wertschätzen.
      Cheerio!

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